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Das Weinglas

Portwein trinkt sich aus jedem Glas gut. Wer weiss, fliesst im einen oder andern auch ein Tropfen Familienblut? Mein ­­Ur- oder Ururgrossvater, oder was weiss ich, hatte als kleiner Winzer weiter oben am Douro begonnen, seine gebrauchten Portofässer nach Schottland zu verschiffen, weil die Whisky Distilleries in den Highlands mit einem «First Fill» auf den Märkten höhere Preise erzielten.

Die mächtige Eisenbahnbrücke über den Douro, eine Art flach gelegter Eiffelturm, hatte unseren Rebhang vor hundertfünfzig Jahren an die grosse Welt angeschlossen. Diese Brücke ist mein Tor zur Welt, soll unser Urururgrossvater gesagt ­haben, baute sich in Porto, hoch über dem Douro, ein Jugendstilschlösschen, verziert mit Azulejos in himmlischem Blau – und liess sich mit seiner Firma alsbald in London nieder. Schade um das alte Haus. Unaufhaltsam rutscht es den steilen Hang hinab Richtung Fluss. Aber tiefer als die Risse im Gemäuer sind die Risse, die durch die Familie gehen. Zu zahlreich sind wir unterdessen, als dass wir uns über eine Rettung einigen könnten.


Text: Markus Maeder

 

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